Martha Höhr
Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung: Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.
Ein wenig Klarheit im Begriffe-Dschungel…
Die Zeit, in der aus unseren zuckersüßen Welpen zunehmend selbstbewusstere, aber auch emotional etwas instabilere vierbeinige Begleiter werden, wird landläufig als Pubertät bezeichnet. Genau genommen markiert aber der Beginn der Pubertät den Zeitpunkt, an dem im Hundekörper erstmalig größere Mengen an Geschlechtshormonen freigesetzt werden und endet mit dem Zeitpunkt, zu dem der Hund die physische Geschlechtsreife erreicht hat. Die Phase zwischen dem Erreichen der physischen/biologischen Geschlechtsreife und dem Erreichen der sozialen Reife des erwachsenen Hundes wird als Adoleszenz bezeichnet, also als „Erwachsenwerden“.
Wann ein Hund genau erwachsen ist, hängt von mehreren Faktoren ab wie z.B. Rasse, Endgröße, Ernährung und Lebensumständen in den ersten Lebensmonaten, etc. Als Faustregel gilt eine Hündin nach der 3. Läufigkeit als erwachsen und ein Rüde derselben Rassezugehörigkeit zu dem Zeitpunkt, an dem seine weiblichen Verwandten diese 3. Läufigkeit hinter sich gebracht haben.
1. Hormoncocktail, Umbauarbeiten im Gehirn und die Auswirkungen auf das Verhalten unserer Hunde
2. Einige typische Verhaltensbesonderheiten des Junghundes und deren biologische Ursachen
3. Was hilft uns nun die Kenntnis biologischer Vorgänge, während wir unserem davonstürmenden Hund hinterhersehen?
Alles, was wir unseren Welpen in liebevoller Kleinarbeit in den ersten Lebensmonaten beigebracht haben, scheint manchmal vom heranwachsenden, häufig rüpelhaften Jungspund je nach Tagesverfassung aus dem Gedächtnis gelöscht.
Und tatsächlich hat das Verhalten unserer Hunde ab dem 5.- oder 6. Lebensmonat seine Ursache in großen Umbauarbeiten im Gehirn. Diese Veränderungen werden durch die vermehrte Ausschüttung von Geschlechtshormonen eingeleitet und dienen dazu, das Verhalten des Hundes auf neurobiologischer Ebene von kindlicher Emotionalität und vorwiegend instinkt-gesteuertem Verhalten zu erwachsener Souveränität hin zu entwickeln. Die für Welpen typische putzige Infantilität verdanken wir der Dominanz des limbischen Systems; im besten Fall übernimmt im Laufe der Adoleszenz zunehmend das Frontalhirn die Kontrolle über Entscheidungsfähigkeit, Frustrationstoleranz und multi-tasking-Fähigkeiten.
Auf dem Weg zu vernünftigen Erwachsenen sind wir allerdings mit einem Wesen konfrontiert, das je nach Persönlichkeitsstruktur streckenweise Wutausbrüche, Überreiztheit, hohe Impulsivität und/oder völlige Ignoranz unserer Anwesenheit zeigt. Diese Verhaltensweisen sucht sich unser Hund jedoch nicht aus und er zeigt sie schon gar nicht mit Absicht oder aus dem viel bemühten „Trotz“! Das Gehirn unseres Hundes steckt gerade mitten in einem Komplettumbau mit Neuverlegung von Millionen Nervenverbindungen, und großflächiger Umstrukturierung von Gehirnmaterial. Dieser Umbau spiegelt sich natürlicherweise im Verhalten wider.
Wenn man sich dies bewusst macht, kann man besser nachvollziehen, wieso noch so gut etablierte Signale ein wenig von ihrer Wirksamkeit einbüßen.
2.1 Risikobereitschaft ist besonders hoch, der pubertierende Junghund zeigt verstärktes Explorationsverhalten bei extrem geringer Vorsicht. Ursache hierfür ist ein dem Umbauprozess geschuldetes Frontalhirndefizit, der Junghund ist kaum in der Lage, die Konsequenzen seines Handelns einzuschätzen oder überlegte Entscheidungen treffen. Die ursprüngliche Funktion der Adoleszenz von Hundeartigen besteht ja unstrittig in einer zumindest partiellen Abnabelung von den Elterntieren oder sogar einer räumlichen Abwanderung zur Gründung einer neuen Fortpflanzungsgesellschaft. Dies wäre schwer möglich mit dem eher vorsichtigen, häufig auch ängstlichen Verhalten eines Welpen!
2.2 Stark impulsive Reaktionen auf (auch bekannte) Außenreize/Situationen, diese Reaktionen können sowohl von Angst als auch von Aggression begleitet werden. Auch die sogenannte zweite Angstphase im Rahmen der Sozialisierung hat hier ihren Ursprung. Ursache dafür ist einerseits ein extrem hoher Spiegel des Stresshormons Cortisol während der Adoleszenz, der Hund ist also sozusagen dauergestresst und reagiert entsprechend sensibel. Andererseits ist der Mandelkern (die sogenannte Amygdala) im Gehirn, die die emotionale Bewertung von Wahrnehmungen steuert, während der Pubertät vergrößert, dies sorgt für häufig überschießende Reaktionen auf bisher als harmlos eingestufte Reize. Die vergrößerte Amygdala ist auch der Grund für die in dieser Zeit häufiger werdenden aggressiven Auseinandersetzungen mit Artgenossen, da die Impulskontrolle zeitweise völlig ausfällt.
2.3 Gehäuftes Auftreten selbstbelohnender (in unserer Welt häufig unerwünschter)
Verhaltensweisen wie Jagen gehen, Ressourcenverteidigung etc. Diese Verhaltensweisen
verdanken wir dem hochaktiven dopaminergen System. Dopamin erzeugt die selbstbelohnende Wohlfühlwirkung impulsiven Verhaltens und in keiner Phase seines Lebens ist der Hund dafür so empfänglich wie während der Adoleszenz. Der Junghund begibt sich – ähnlich seinen menschlichen Äquivalenten, den pubertierenden jungen Erwachsenen – auf die permanente Suche nach den sogenannten „Dopaminkicks“. Im realen Leben bedeutet das also, das ein erstmalig hinter Wild nachhetzender Junghund sich diese Erfahrung deutlicher einprägt und immer wieder suchen wird, als wenn das gleiche mit einem erwachsenen Hund passieren würde.
2.4 Massiv erhöhte Berührungsempfindlichkeit: hat sich der Welpe noch geduldig die Krallen schneiden und Zecken entfernen lassen, zappelt er nun plötzlich herum und meidet Berührungen, zeigt sogar Abwehrschnappen etc. Ursächlich dafür ist eine temporär erhöhte Empfindlichkeit der Rezeptoren an der Körperoberfläche des Hundes.
2.5 Im direkten Zusammenhang mit der vermehrten Freisetzung von Geschlechtshormonen steht beim Rüden und Hündinnen das vermehrte Markieren. Beim Rüden intensives Schnüffeln und Belecken von Urinspuren – vorzugsweise von läufigen Hündinnen, zeitweises Aufreiten (Vorsicht: bei weitem nicht jede Form des „Rammelns“ steht in einem sexuellen Kontext!!) und je nach Stärke der sexuellen Motivation können junge Rüden in geruchlicher Nähe läufiger Hündinnen vermehrte Unruhe bis hin zu Jaulen und Futterverweigerung zeigen.
1. Das Verständnis der Hintergründe ermöglicht es uns, Verhalten nicht persönlich zu nehmen. Somit entfallen Kränkung, Zorn, Wut und ähnliche Emotionen, die sich wohl in uns aufstauen würden, wenn wir annehmen müssten, unser Hund würde sich vorsätzlich so verhalten.
2. Die dadurch hoffentlich zumindest streckenweise erreichte emotionale Unberührtheit lässt uns nun geduldiger und verständnisvoller mit unserem hormongebeutelten Jungrüpel umgehen. Wir können ruhig bleiben, auch einmal einen Schritt im Training zurückgehen, wenn gerade gar nichts mehr geht oder es einfach auch gut sein lassen, wenn die Übung nicht perfekt ausgeführt wurde, weil an manchen Tagen einfach zu viel Chaos in unserem Hund herrscht.
3. Wir können uns an kleinen Fortschritten freuen, die unser Hund trotz des Aufruhrs in seinem Inneren macht.
4. Wir können uns täglich daran erinnern, dass das Wichtigste für unseren Junghund jetzt Stabilität, Routinen und gleichbleibende ruhige Konsequenz sind.
5. Wir können diese Phase nutzen, positive Sozialsierungserfahrungen unserer Hunde aufzufrischen, auch wenn diese vielleicht momentan wieder nur auf größere Distanz möglich sind als im Welpenalter.
6. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir unsere Hunde während der Pubertät sich selbst überlassen sollen, weil eh so einiges nicht mehr funktioniert, das vorher kein Problem war. Im Gegenteil, unsere Hunde brauchen gerade jetzt viel Orientierung und Halt, wir sollten uns allerdings stets bewusst sein, dass sie derzeit zu einem ähnlich hohen Maß an Empathie fähig sind wie ihre menschlichen pubertätsgebeutelten Äquivalente.
7. Wir können kreative Managementstrategien ausarbeiten und uns daran freuen, wenn diese funktionieren! Langeweile war gestern! Wenn unser Junghund also gerade die Lust am Jagen entdeckt hat, können wir zwischenzeitlich unsere Fähigkeiten im Umgang mit der Schleppleine trainieren oder ein Apportierspiel aufbauen, das uns und unserem Hund auch später noch Freude bereiten wird. Oder wir können ein zusätzliches unterstützendes Signal (z.b. eine Pfeife) einführen, um das Heranrufen des jungen Wilden wieder mit einer höheren Erfolgsquote zu versehen.
8. Wir können getrost einmal den jungen, jaulenden Rüden einfach ins Auto packen und irgendwo hinfahren, wo gerade nicht 5 läufige Hündinnen ihre Morgenrunde drehen und uns mit ihm daran freuen, wenn er wieder an Grashalmen knabbert und mit uns spielt, weil wir ihm eine kurze Pause von den verlockenden Düften gegönnt haben.
Udo Gansloßer, Kate Kitchenham (Klick mich!)
Sophie Strodtbeck, Udo Gansloßer (Klick mich!)
Sophie Strodtbeck – Schweizer Hundemagazin (Klick mich!)
Dieser Beitrag wurde von Martha Verena Höhr (Leitung: Hundeschule Willenskraft Graz & Umgebung) verfasst.