Buchvorstellung: „Das Aggressionsverhalten des Hundes“ von James O’Heare
Hundeschule Willenskraft & Akademie
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Einleitung
Aggressives Verhalten bei Hunden ist eines der meistdiskutierten, aber auch am häufigsten missverstandenen Themen in der Mensch-Hund-Beziehung. Für viele Halter:innen ist es ein Schock, wenn der eigene Hund knurrt, schnappt oder gar zubeißt – Unsicherheit, Angst und manchmal auch Schuldgefühle sind die Folge. Allzu schnell wird ein Hund als „gefährlich“ abgestempelt, ohne dass die Ursachen seines Verhaltens wirklich verstanden werden.
Genau hier setzt das Buch „Das Aggressionsverhalten des Hundes: Ein Arbeitsbuch“ von James O’Heare an. Es lädt dazu ein, Aggression nicht als Charakterfehler oder Boshaftigkeit zu betrachten, sondern als kommunikatives Verhalten, das immer einen funktionalen Hintergrund hat – sei es Angst, Frustration, Stress oder Verteidigung.
James O’Heare gilt als renommierter Experte im Bereich der Verhaltensmodifikation und Tierverhaltensberatung. Mit seinem Arbeitsbuch liefert er nicht nur fundiertes theoretisches Wissen, sondern auch einen klar strukturierten Leitfaden für die Praxis: von der präventiven Arbeit mit Welpen bis hin zur systematischen Verhaltensmodifikation bei problematischen Fällen.
Dieser Blogartikel stellt die wichtigsten Inhalte des Buches vor, ordnet sie ein und gibt einen Ausblick darauf, für wen sich die Lektüre besonders lohnt. Ziel ist es, ein differenzierteres Verständnis für Hundeverhalten zu fördern – weg von Mythen und Schuldzuweisungen, hin zu einer wissenschaftlich fundierten, empathischen Herangehensweise.
„Das Aggressionsverhalten des Hundes“
Das Arbeitsbuch „Das Aggressionsverhalten des Hundes“ ist systematisch und praxisorientiert aufgebaut. Es folgt einem klaren roten Faden, der Leser:innen schrittweise von einem grundlegenden Verständnis aggressiven Verhaltens über präventive Maßnahmen bis hin zur fundierten Diagnostik und konkreten Verhaltensmodifikation führt.
Der Aufbau des Buches gliedert sich in fünf zentrale Kapitel:
Verständnis entwickeln – Was ist Aggression eigentlich? Warum entsteht sie? Und wie funktioniert sie biologisch und verhaltenspsychologisch?
Aggression vermeiden – Welche Maßnahmen lassen sich ergreifen, um problematisches Verhalten gar nicht erst entstehen zu lassen – bei Welpen ebenso wie bei erwachsenen Hunden?
Aggression diagnostizieren – Wie kann man aggressives Verhalten differenziert beobachten, analysieren und interpretieren?
Aggression behandeln – Welche Trainingsansätze, basierend auf wissenschaftlich fundierter Lerntheorie, sind effektiv und tierschutzgerecht?
Aggression gegenüber Kindern – Ein besonders sensibles Thema, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Der Zielrahmen des Buches ist breit, aber klar definiert: Es geht darum, Menschen in die Lage zu versetzen, Aggression bei Hunden ganzheitlich zu verstehen, frühzeitig gegenzusteuern, präzise zu analysieren und schließlich mit durchdachten, ethisch vertretbaren Mitteln therapeutisch zu begleiten. O’Heares Ansatz folgt dabei strikt den Grundsätzen der positiven Verstärkung und lehnt aversive Methoden explizit ab.
Was das Buch besonders macht, ist sein Arbeitsbuch-Charakter: Es bietet nicht nur theoretische Grundlagen, sondern auch viele praktische Werkzeuge – darunter Checklisten, Reflexionsfragen, Ablaufpläne und ein „Basisprogramm“, das als Einstieg in die Verhaltensmodifikation dient. So eignet sich das Werk ideal für Hundetrainer:innen, Verhaltenstherapeut:innen, Studierende in der Tierverhaltensberatung sowie engagierte Halter:innen, die sich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen möchten.
„Das Aggressionsverhalten des Hundes“ von James O’Heare
James O’Heare widmet dem Thema Aggression ein ganzes Einstiegs-Kapitel von über 100 Seiten – und das mit gutem Grund. Bevor irgendeine Verhaltensänderung stattfinden kann, muss zuerst ein solides, emotionsfreies Verständnis für das Phänomen „Aggression“ aufgebaut werden.
O’Heare macht deutlich: „Aggression ist ein ganz normales Verhalten im Repertoire sozialer Tiere – auch beim Hund.“ Sie tritt nicht zufällig auf, sondern dient einem bestimmten Zweck, etwa:
Schutz der eigenen körperlichen Unversehrtheit
Verteidigung von Ressourcen
Fluchtverhinderung (z. B. Leinenaggression)
Regulation sozialer Distanzen
🗣 Zitat (S. 27):
„Aggression ist kein Beweis für moralisches Versagen oder eine gestörte Persönlichkeit, sondern ein Verhalten, das in bestimmten Kontexten als funktional erlebt wird.“
Daraus folgt: Der Versuch, Aggression „abzustellen“, ohne ihre Funktion zu verstehen, ist nicht nur ethisch problematisch, sondern auch fachlich unwirksam.
🗣 Originalzitat (Seite 21–22):
„Aggression ist ein Verhalten, das darauf abzielt, einen Reiz zu entfernen oder auf Abstand zu halten, indem eine Bedrohung oder tatsächlicher Schaden signalisiert wird.“
Diese Definition betont:
den funktionalen Charakter des Verhaltens (Distanz schaffen, Kontrolle gewinnen)
dass es sich um eine Kommunikationsform handelt, nicht um blinden Impuls
dass es eine Reaktion auf eine als bedrohlich empfundene Situation ist – nicht grundlose Boshaftigkeit
Ein zentrales Anliegen des Autors ist die präzise Unterscheidung zwischen Begriffen, die im Alltag oft unreflektiert vermischt werden. Er unterscheidet unter anderem:
Aggressives Verhalten – beobachtbares Verhalten wie Knurren, Zähnezeigen, Beißen
Aggression als Motivation – der emotionale Zustand, der das Verhalten auslöst
Aggressivität – eine hypothetische Eigenschaft oder Disposition (die O’Heare kritisch betrachtet)
🗣 Zitat (S. 34):
„Wir müssen aufhören, Verhalten zu etikettieren, als sei es eine feste Eigenschaft des Tieres. Verhalten ist situativ, nicht identitätsstiftend.“
Diese Differenzierung ist nicht nur semantisch, sondern grundlegend für diagnostische Genauigkeit und faire Beurteilung.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den physiologischen und neurochemischen Grundlagen von Aggression. O’Heare erklärt, wie sich Bedrohung auf das Verhalten auswirkt:
Aktivierung des autonomen Nervensystems
Erhöhung der Stresshormone (Adrenalin, Cortisol)
Einfluss von Neurotransmittern wie Serotonin auf die Impulskontrolle
Dies führt zu einer veränderten Wahrnehmung, Reizverarbeitung und Reaktionsgeschwindigkeit beim Hund. Viele aggressive Reaktionen basieren auf chronischer Überforderung oder fehlender Erholung.
🗣 Zitat (S. 62):
„Stress wirkt nicht nur auf das Verhalten – er verändert das Gehirn. Wer Aggression behandeln will, muss Stressquellen erkennen und reduzieren.“
Besonders betont O’Heare, dass Stressreduktion keine Option, sondern Voraussetzung für nachhaltige Verhaltensveränderung ist.
Formen der Aggression: Verteidigung, Frustration, umgeleitete Aggression, erlernte Aggression usw.
Kulturelle Missverständnisse: Kritik an Dominanzkonzepten und an „Rudelführer“-Ideologie
Verhaltensanalyse: Erste Einführung in funktionale Verhaltensanalyse (Stichworte: SD, MO, Konsequenzen)
Ethik: Betonung, dass Gewaltfreiheit und Respekt gegenüber dem Tier oberstes Gebot sind
Dieses Kapitel legt den Grundstein für den gesamten weiteren Aufbau des Buches – sowohl methodisch als auch ethisch. Leser:innen werden eingeladen, ihre Sichtweise auf „Problemverhalten“ radikal zu überdenken: Weg vom Urteil, hin zum kontextualisierten Verstehen.
Überblick und Zielsetzung: Das Aggressionsverhalten des Hundes
Dieses Kapitel legt den Fokus auf präventive Maßnahmen, um das Entstehen aggressiven Verhaltens bei Hunden zu verhindern. Dabei wird besonders zwischen genetischen Faktoren, frühzeitiger Sozialisierung und praktischem Management unterschieden. Ziel ist es, Situationen, die aggressives Verhalten provozieren könnten, gar nicht erst entstehen zu lassen und damit sowohl für den Hund als auch für seine Umwelt Sicherheit und Lebensqualität zu schaffen.
Bereits vor der Haltung oder Ausbildung eines Hundes kann durch verantwortungsvolle Zucht ein entscheidender Einfluss auf das Aggressionspotenzial genommen werden:
Genetische Disposition: Aggression ist teilweise vererbbar. Werden besonders aggressive Tiere gezielt verpaart, verstärkt sich diese Tendenz in der Population. Umgekehrt sinkt die Wahrscheinlichkeit aggressiven Verhaltens, wenn nur sozialverträgliche Tiere gezüchtet werden.
Einfluss auf Reizschwellen: Die Genetik beeinflusst Aufbau und Funktion des Gehirns – insbesondere die Schwelle, ab der ein Hund mit Aggression reagiert.
Zuchtempfehlung: O’Heare zitiert Dr. Ian Dunbar mit dem Vorschlag, Hunde erst ab einem Alter von 10 Jahren zur Zucht zu verwenden, um genug Zeit zur Beurteilung ihres Wesens zu haben
„Bei der C.A.P.P.D.T.-Konferenz 2000 schlug Dr. Ian Dunbar vor, erst ab einem Alter von 10 Jahren mit Hunden zu züchten, denn erstens würden aggressive Hunde meist nicht so lange leben und zweitens hätten wir so ausreichend viel Zeit herauszufinden, wie sich der Hund wirklich entwickelt.“
— O’Heare, S. 108
Dieses Zitat hebt Dunbars Ansatz hervor, nur mit Hunden zu züchten, deren langfristiges Verhalten gut einschätzbar ist – als Maßnahme gegen genetisch bedingte Aggression.
Die Prägungsphasen im Welpenalter sind entscheidend:
Welpenzeit: Hunde durchlaufen eine Phase intensiver Neugier, in der sie neue Reize angstfrei kennenlernen sollten. Wird diese Phase nicht genutzt, entwickelt sich später Neophobie (Angst vor Neuem).
Sozialisierungsdefizite: Ein Hund, der als Welpe keine positiven Erfahrungen mit Menschen, anderen Tieren oder Umgebungen gemacht hat, ist später anfälliger für Angst und daraus resultierende Aggression.
„Ein Löffel Vorbeugung ist so viel wert wie eine ganze Wagenladung voll Heilmittel“
— Dunbar 1999, zitiert in O’Heare, S. 119
Hier betont Dunbar die enorme Bedeutung frühzeitiger und qualitativ hochwertiger Sozialisierung, um spätere Verhaltensprobleme – insbesondere Aggression – zu vermeiden.
Prävention bedeutet auch, im Alltag umsichtig und vorausschauend mit dem Hund umzugehen:
Vermeidung von Auslösern: Hunde sollten möglichst nicht in Situationen gebracht werden, in denen sie aggressiv reagieren könnten. Dies kann bedeuten, auf Spaziergänge, Spielsachen oder Freigang vorübergehend zu verzichten.
Individuelle Distanz wahren: Die Individualdistanz des Hundes darf nicht verletzt werden. Konfliktauslösende Situationen wie Streit um das Sofa oder Futterplätze sollten im Vorfeld entschärft werden.
Kreatives Konfliktmanagement: O’Heare betont, wie wichtig es ist, flexible Lösungen zu finden – z. B. durch Umstellen der Möbel, Abwandeln von Routinen oder Umstrukturierung von Spiel- und Fütterungszeiten.
Bei Hunden mit Aggressionspotenzial wird empfohlen:
Maulkorbtraining: Ein korrekt angepasster Maulkorb kann Sicherheit gewährleisten – sowohl für die Umwelt als auch zur Entlastung des Halters.
Management-Hausaufgaben: Halter sollen schriftlich festhalten, wie sie kritische Situationen künftig vermeiden wollen, und dabei verschiedene Alternativen durchdenken.
Neben Management und Ausstattung spielt auch das Training eine zentrale Rolle:
Clickertraining und positive Verstärkung werden empfohlen, um erwünschtes Verhalten zu stärken.
Frühzeitiges Training von Hörzeichen und Selbstkontrolle hilft dem Hund, in stressigen Situationen angemessen zu reagieren.
Kapitel 2 vermittelt eindrucksvoll, dass Vermeidung der Entstehung von Aggression der effektivste Schutz vor späteren Verhaltensproblemen ist. Von der genetischen Auswahl über gezielte Sozialisierung bis hin zum durchdachten Alltagsmanagement bietet O’Heare konkrete, praxisnahe Empfehlungen. Prävention ist hier kein passiver Prozess, sondern ein aktives Gestalten der Lebensumwelt und Beziehung zwischen Mensch und Hund – immer mit dem Ziel, Sicherheit, Vertrauen und Selbstregulation zu fördern.
„Das Aggressionsverhalten des Hundes“ von James O’Heare
Dieses Kapitel bietet praxisorientierte Anleitungen zur systematischen Diagnostik von Aggressionsverhalten bei Hunden. Ziel ist es, Ursachen und Auslöser des Verhaltens möglichst präzise zu identifizieren, um darauf aufbauend individuelle Therapiepläne entwickeln zu können.
Der erste Schritt in jeder Diagnostik besteht laut O’Heare darin, körperliche Erkrankungen als Ursache für das aggressive Verhalten auszuschließen. Der Autor betont ausdrücklich, dass eine einfache, oberflächliche Untersuchung nicht ausreicht. Stattdessen ist ein umfassendes medizinisches Screening nötig, inklusive Blutbild und ggf. weiterer spezifischer Tests.
„Solange gesundheitliche Probleme als Ursachen nicht ausgeschlossen wurden, lässt sich keine Verhaltensdiagnose erstellen.“
— O’Heare, S. 133
Diese gründliche Differenzialdiagnose ist essenziell, da etwa neurologische Störungen, Schmerzen oder hormonelle Dysbalancen Aggressionsverhalten verursachen oder verstärken können. Erst wenn gesundheitliche Ursachen ausgeschlossen sind, kann mit der Verhaltensanalyse begonnen werden.
Die Analyse beginnt mit der Frage: Gegen wen oder was richtet sich das Verhalten?
Menschen (spezifisch: Männer, Kinder, Fremde etc.)
Andere Hunde oder Tiere
Konkrete Situationen oder Objekte
Der Autor regt hier zu einer ersten Hausaufgabe an: Die Ziele der Aggression sollten notiert werden, um Muster und spezifische Auslöser zu erkennen.
Zentral für die Diagnostik ist die Analyse der Funktion des aggressiven Verhaltens, also:
Was löst es aus?
Welche Reaktionen folgen darauf?
Welche Konsequenzen (Verstärkungen) treten ein?
Beispiel: Wenn ein Hund durch Bellen einen Menschen auf Distanz hält und sich dadurch entlastet fühlt, wird dieses Verhalten negativ verstärkt – die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es in Zukunft wieder gezeigt wird.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug ist die Verhaltensbeobachtung im Alltag:
Was passiert unmittelbar vor einer aggressiven Reaktion?
Welche Konsequenzen folgen danach?
Gibt es bestimmte Muster (z. B. immer in engen Räumen, nur wenn Leine dran ist, bei Futter etc.)?
Auch hier wird zur schriftlichen Dokumentation geraten, um Zusammenhänge sichtbar zu machen.
Zur objektiven Einschätzung der Gefährdung wird das Konzept der Beißgrade eingeführt. Anhand von Tiefe, Lokalisation und Intensität eines Bisses wird der Grad des Verhaltens klassifiziert, was wiederum Einfluss auf die Prognose hat:
Beißgrad 1–2: Geringe Gefahr, meist gute Aussichten
Beißgrad 4+: Hohe Gefahr, kritische Prognose
Auch Faktoren wie das Umfeld (z. B. Kinder im Haushalt), die Fähigkeit zur Kontrolle des Hundes und die Motivation des Halters fließen in die Einschätzung mit ein.
Zur Rolle der Funktionsanalyse:
„Mit Funktion eines Verhaltens ist gemeint, welche Faktoren beim fraglichen Verhalten eine Rolle spielen.“
Die Funktion bezieht sich laut O’Heare auf die Verstärker, die ein Verhalten aufrechterhalten. Dies stellt die Grundlage für die individualisierte Analyse dar, anstatt sich auf starre Kategorien zu verlassen.
Zu differenzierten Auslösern und Verhaltenstypen:
„Wenn Sie die drei wichtigsten Antriebe und Abneigungen Ihres Hundes herausfinden können, bekommen Sie ein genaueres Bild von seinem Wesen und eine Vorstellung davon, was sein Verhalten steuert.“
Diese Passage empfiehlt, die Motivlage des Hundes genau zu analysieren – ein zentraler Punkt in der funktionalen Diagnostik.
Zur emotionalen Grundlage von Aggression:
„Ein Hund, der Angst hat, wird daher sehr wahrscheinlich weder fressen noch spielen.“
Diese Beobachtung verdeutlicht, wie stark negative Emotionen wie Angst motivationale Prioritäten des Hundes überlagern können.
Dieses Kapitel zeigt klar: Eine fundierte Diagnostik von Aggressionsverhalten ist mehrstufig, interdisziplinär und individuell. O’Heare plädiert für systematisches Vorgehen, beginnend mit der medizinischen Abklärung über die genaue funktionale Analyse des Verhaltens bis hin zur realistischen Prognose. Auch der Hausaufgaben-Charakter des Buches wird in diesem Kapitel deutlich – Leser:innen sollen aktiv mitarbeiten und die Analyse dokumentieren.
Systematisch statt spektakulär – wie Verhaltensänderung wirklich funktioniert
Im vierten Kapitel stellt James O’Heare eine zentrale Weiche: Aggressives Verhalten ist nicht „heilbar“ – aber veränderbar. Nicht durch Autorität, nicht durch Gewalt, sondern durch systematisches, fundiertes und geduldiges Arbeiten mit den Mitteln der Lerntheorie.
Bereits die Einleitung macht deutlich, worum es geht:
„Gegen Aggression gibt es KEIN Heilmittel, weil Aggression sehr schnell zum gewohnheitsmäßigen Verhalten führt.“
O’Heare stützt sich auf die Prinzipien der modernen Verhaltenstherapie. Hunde lernen in jeder Situation – bewusst oder unbewusst. Ob wir es wollen oder nicht. Deshalb sei es nicht entscheidend, ob man lerntheoretisch arbeite, sondern wie gut man diese Gesetzmäßigkeiten nutze. Er zitiert dazu Spreat & Spreat (1982):
„So wie die Gesetze der Schwerkraft sind auch die Prinzipien des Lernens immer am Werk.“
Aggression verändert das Gehirn – sie wird selbstbelohnend. Deshalb gilt:
„Verhindern Sie jeden einzelnen aggressiven Zwischenfall!“
Denn jeder Vorfall verstärkt die neuronalen Muster, die das Verhalten festigen.
O’Heare beschreibt ein praktikables Basisprogramm, das zwei Säulen umfasst:
Desensibilisierung gegenüber Auslösern – durch systematische Annäherung in kleinen Schritten.
Aufbau von Alternativverhalten – Verhalten, das mit Aggression unvereinbar ist (z. B. Blickkontakt, Rückruf, Entspannung auf Signal).
Diese Ziele werden mit Hilfe von positiver Verstärkung erreicht – etwa über Markertraining (z. B. Clicker), systematische Belohnungspläne und klare Rahmenbedingungen.
Ein besonders ehrlicher Teil des Kapitels betrifft die Grenzen der Verhaltensveränderung. O’Heare betont, dass Rückfälle auch bei perfektem Training nie auszuschließen sind. Darum müsse das Trainingsprogramm immer von sorgfältigem Management begleitet sein – z. B. Leinenpflicht, Maulkorbtraining oder räumliche Begrenzung:
„Man tut, was man nur kann und was einem nur einfällt, und kann trotzdem NIE ganz sicher sein, dass der Patient keinen Rückfall bekommen wird.“
Diese Haltung ist realistisch – nicht resigniert. Sie erlaubt Menschen, Verantwortung zu übernehmen, ohne falsche Versprechen zu glauben.
Kapitel 4 bietet keine Zauberformeln – aber eine wissenschaftlich saubere, ethisch tragfähige und in der Praxis bewährte Herangehensweise. Es ist ein Plädoyer für kluges Management, gezielte Verhaltensveränderung und einen respektvollen, langfristig gedachten Umgang mit Hunden, die aggressive Verhaltensweisen zeigen.
aus „Das Aggressionsverhalten des Hundes – Ein Arbeitsbuch“ von James O’Heare
Kinder sind die am häufigsten betroffene Opfergruppe bei Hundeangriffen. Die Verletzungen, die Kinder davontragen, sind meist schwerwiegender als bei Erwachsenen – mehr als die Hälfte aller Hundebisse betreffen Kinder, und in 26 % dieser Fälle ist eine medizinische Versorgung erforderlich, während dies bei Erwachsenen nur in 12 % der Fälle zutrifft. Zudem werden die meisten tödlichen Bisse bei Kindern verzeichnet, besonders häufig bei 5- bis 9-Jährigen.
Kinder verhalten sich aus Hundesicht oft „falsch“:
Sie bewegen sich hektisch,
quietschen und kreischen,
umarmen und bedrängen Hunde ungewohnt,
ziehen an Körperteilen,
rennen auf Hunde zu oder davon weg,
und wurden häufig nicht in der sensiblen Prägungsphase auf Kinder sozialisiert.
Zudem unterschätzen Eltern oft die Risiken – sie behandeln Hunde wie Kinder oder lassen gefährliche Situationen zu.
Ob mit einem Hund gearbeitet werden sollte, der sich aggressiv gegenüber Kindern verhält, muss individuell entschieden werden. Wichtige Fragen dabei:
Hat der Hund bereits gebissen? Wenn ja: extrem hohes Risiko!
Reagiert er aggressiv auf Kinder im selben Haushalt? Lebensgefahr!
Kann der Kontakt zu Kindern sicher ausgeschlossen werden? Wenn nein: großes Risiko.
Der Autor rät in drastischer Klarheit:
„Geben Sie einen aggressiven Hund NIE an einen anderen Menschen ab, es sei denn an einen Profi.“
Und weiter: „Aggression wird zur Gewohnheit. Der Hund wird immer zu dieser Verhaltensweise neigen.“
Praktische Maßnahmen, wenn ein Kind erwartet wird:
Tagesablauf frühzeitig so gestalten, dass sich mit Kind möglichst wenig verändert.
Aufregende Spiele nur noch draußen spielen.
Aufmerksamkeit gegenüber dem Hund vor der Geburt reduzieren, damit diese mit dem Baby wieder steigt.
Geräusch-Desensibilisierung durch abgespielte Kindergeräusche (in Kombination mit Leckerli).
Unterscheidung von Kinder- und Hundespielzeug gezielt trainieren.
Sozialkontakt mit Kindern jeder Altersgruppe aufbauen, unter sicheren Bedingungen.
Wichtige Regeln für Kinder:
Erst fragen, bevor sie sich einem Hund nähern.
Streicheln nur am Brustkorb, nicht am Kopf.
Niemals schlafende Hunde stören oder mit ihnen raufen.
Keine abrupten Bewegungen oder Weglaufen.
Hund nie anstarren, bedrängen oder bei Fressen stören.
Grundregel: „Ein Kind und ein Hund sollten niemals unbeaufsichtigt zusammen sein.“
Kinder sind Risikogruppe Nr. 1 für Hundebisse.
Viele Hunde wurden nicht auf Kinder sozialisiert.
Eltern unterschätzen oft die Gefahrenlage.
Training & Vorbereitung können helfen, sind aber kein Garant.
In vielen Fällen ist es sicherer, keine Verbindung zwischen Kindern und einem potenziell aggressiven Hund zuzulassen.
„Glauben Sie nicht, dass IHR Hund einem Kind NIE etwas antun würde.“
Das Aggressionsverhalten des Hundes: Ein Arbeitsbuch
James O’Heare gelingt es, aktuelle Erkenntnisse aus der Lerntheorie, Neurobiologie und Verhaltensanalyse klar und systematisch aufzubereiten – ohne in theoretischem Jargon zu verharren. Seine Inhalte basieren auf dem aktuellen Stand der Verhaltensforschung und lassen sich direkt auf die Arbeit mit Hunden übertragen.
Trotz der Tiefe der behandelten Themen – von Stressreaktionen über funktionale Verhaltensanalyse bis zu Trainingsplanung – bleibt das Buch sprachlich gut zugänglich. Die vielen erklärenden Abschnitte, praktischen Beispiele und Aufgabenblätter erleichtern das Verständnis auch für Leser:innen ohne akademischen Hintergrund.
Das Buch führt Leser:innen durch einen stringenten Prozess: von der Ursachenerkennung über die genaue Diagnose bis zur konkreten Intervention. Besonders hilfreich ist das integrierte Basisprogramm, das als modularer Handlungsleitfaden für Training und Management dient.
Ein besonderes Merkmal ist O’Heares ethischer Anspruch: Hunde sollen weder bestraft noch unterdrückt, sondern verstehen gelernt und fair geführt werden. Das Buch richtet sich klar gegen aversive Methoden und betont die Verantwortung des Menschen im Umgang mit verhaltensauffälligen Tieren.
Das Aggressionsverhalten des Hundes: Ein Arbeitsbuch
Das Buch richtet sich klar an Fachleute oder sehr engagierte Hundehalter:innen. Wer keine Grundkenntnisse in Verhaltensbiologie oder Lerntheorie mitbringt, wird an einigen Stellen Unterstützung durch eine:n Trainer:in oder Verhaltenstherapeut:in benötigen.
Zwar betont O’Heare die Wichtigkeit medizinischer Abklärung – eine detaillierte Auseinandersetzung mit gesundheitlichen Ursachen oder deren Diagnose fehlt jedoch. Hier wäre eine vertiefende Ergänzung oder ein Verweis auf tierärztliche Fachliteratur wünschenswert.
Das Buch macht klar: Es bietet keine Rezepte für akute Gefahrensituationen. Wer mit einem Hund lebt, der Menschen oder andere Tiere schwer verletzt hat, benötigt professionelle Begleitung. Dieses Buch kann hier nur ein ergänzendes Werkzeug sein – kein alleiniges Mittel.
Das Aggressionsverhalten des Hundes: Ein Arbeitsbuch
„Das Aggressionsverhalten des Hundes“ ist ein fundiertes Fachbuch für:
Hundetrainer:innen, die sich wissenschaftlich und ethisch weiterbilden wollen,
Verhaltenstherapeut:innen, die klare Werkzeuge zur Hand benötigen,
und Tierärzt:innen mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt.
Wer sich bereits intensiv mit Hundeerziehung beschäftigt hat – etwa durch Training, Seminare oder Fachliteratur – findet hier einen wertvollen Leitfaden, um Aggressionsverhalten besser zu verstehen und gezielt anzugehen.
Dieses Werk ist mehr als eine theoretische Abhandlung: Es enthält Aufgaben, Reflexionsfragen, Trainingsanleitungen und praktische Hausaufgaben. Als Nachschlagewerk, Übungsgrundlage und Planungsinstrument ist es ideal für die langfristige Arbeit mit Mensch-Hund-Teams.
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Dieser Beitrag wurde von Bianca Oriana Willen (Inhaberin und Gründerin der Hundeschule Willenskraft & Akademie) verfasst und designed.